Stell dir vor, du bist im Coop und willst gerade ins Regal greifen, um dir eine Packung Spaghetti in deinen Einkaufswagen zu legen. In just diesem Moment packt dich die Hand eines Coop-Mitarbeiters am Handgelenk. Der Mitarbeiter stellt sich zwischen dich und das Regal, hält dir lächelnd ein Formularblatt vors Gesicht und bittet dich, deine Adresse darauf zu hinterlassen, damit man dir gelegentlich Post mit Produkte-Neuigkeiten schicken kann.
Etwa so hätten sich Pop-ups abgespielt, wenn es das Konzept vor der Erfindung des Internets gegeben hätte.
Wie Ethan Zuckerman dem “The Atlantic” 2014 erklärte, war er der Erfinder des ersten Pop-ups. Die eigentliche Idee hinter einem eigenständig aufploppenden kleineren Fenster war, zu ermöglichen, dass Internet-Werbung, die damals noch ausschliesslich auf Bannern dargestellt wurde, eigenständiger auftreten kann, da eine Verbindung mit der gerade besuchten Seite (seitens Auftraggeber) manchmal nicht erwünscht war.
Trotz guter Absichten: Ethan Zuckerman bereut seine Erfindung aus den 90ern unterdessen.
Natürlich ist es albern, daraus zu folgern, Ethan Zuckerman hätte “Schuld” an Pop-ups. Diese Erfindung war ein unvermeidlicher Schritt in der Evolution des Internets, die, wenn nicht von ihm, bestimmt von irgendjemandem erfunden worden wäre.
Der heutige primäre Nutzen eines Pop-ups ist nicht mehr die, die Werbung von der besuchten Webseite optisch zu trennen. Im Gegenteil, die meisten Pop-ups fungieren im Auftrag der Webseite, auf der man sie antrifft. Es soll die Aufmerksamkeit des Nutzers gewonnen werden. In der Folge wird mit der gewonnenen Aufmerksamkeit versucht, den Nutzer zu einer Handlung zu motivieren. Im üblichen Online Marketing wird an dieser Stelle entweder zur Datenhinterlegung oder zum Kauf eines auf der Webseite angebotenen Produktes eingeladen oder angeregt.
Häufig werden Pop-ups allerdings für kriminelle Zwecke missbraucht. Manche erinnern sich bestimmt noch an zwielichtige Seiten wie kinox.to, auf der sich haufenweise solcher Köder tummelten. Da stand dann zum Beispiel “Gratulation. Sie wurden zufällig ausgewählt, das brandneue iphone zu testen!” – wer nicht aufpasste, konnte seinen Computer innert Sekunden mit einem Trojaner infizieren.
Das Tool Optimonster präsentiert sich selbst als “Kunden-Gewinnungs- & Lead-Generierungs-Software”. Um das ein bisschen weniger beschönigend auszudrücken: Diese Firma hat sich unter anderem auf Pop-ups spezialisiert. Ganze 37 Arten, die man mit Hilfe von Optimonster aufsetzen kann, stellt sie in ihrem Blog vor. Dabei werden die Unterschiede manchmal anhand des Anzeigenformate, anhand der Reaktionsmöglichkeiten des Users oder auch anhand des Inhaltes definiert. So ist eine Kategorie “Gamified”, die ein Gewinnspiel beinhaltet. Eine andere Kategorie ist “Exit-Intend”. Dieses Pop-up taucht auf, “wann immer der Nutzer versucht, die Seite zu verlassen.” Sympathisch.
Die meisten all dieser Kategorien haben aber einen gemeinsamen Nenner: Sie hindern oder stören den User daran, die Website frei zu bedienen. Entweder bis er die vom Webseitenbetreiber gewünschte Handlung vorgenommen hat oder durch das Klicken auf das X für “schliessen” – vorausgesetzt letzteres ist auffindbar.
In den frühen Anfängen des Internets habe ich auch schon mal den Computer abstürzen lassen, um ein besonders hartnäckiges und auswegloses Pop-up loszuwerden.
Besonders bemerkenswert ist, wie bemüht das Optimonster-Team ist, Pop-ups als was Positives darzustellen. So steht bei Pop-up-Typ Nummer 7:
“Vollbild-Pop-ups sind von aggressiverer Natur als Standard lightbox Pop-ups aber auf eine gute Weise. Diese verdecken den gesamten Browser.” (Sinngemässe Übersetzung.)
Für Menschen, die bezüglich Pop-ups keinen Interessenkonflikt haben, ist die Antwort auf die Ausgangsfrage klar:
Pop-ups werden in erster Linie mit der Eigenschaft verbunden, unaufgefordert und unerwünscht zu erscheinen.
Die Antwort auf Zuckermans Erfindung folgte in den frühen 2000ern: Der Browser “Opera” wurde als erster mit einem Pop-up-Blocker ausgerüstet, Mozilla Firefox folgte wenig später.
Heute kommen alle bekannten Browser mit einem Pop-up-Blocker, der sich von selbst öffnende Fenster aufhält. Zumeist funktionieren diese unterdessen sehr zuverlässig und es ist heutzutage sogar wahrscheinlicher, ein eigentlich notwendiges Pop-up extra zulassen zu müssen.
Diese Standardisierung von Pop-up-Blockern, also in allen Browsern, markierte lediglich die technische Manifestation der Ziele der “Coalition for Better Ads Guidelines”, die sich 2016 gründete und die Verbesserung der Nutzererfahrung im Internet verfolgt.
Eines der ersten Mitglieder der Coalition for Better Ads Guidelines war Google (komplette Liste hier).
Es stellt sich schon ein wenig die Frage, wozu eine Koalition nötig ist, wenn Google ihre Interessen ohnehin verfolgt. Googles Ranking-Kriterien, also die Kriterien, nach denen der Platz einer Webseite bei einer Suchanfrage bestimmt wird, sind die oberste Hierarchie, wenn es um die Gestaltung einer Webseite geht. Wer sich nicht an die Vorgaben von Google hält, hat kaum eine Chance, im Internet sichtbar zu sein.
Vermutlich handelte es sich hierbei um eine politische Entscheidung und Google wollte sich den Anstrich eines Teamplayers verpassen.
Nichtsdestotrotz ist Google die bedeutendste Exekutive der “Better Ads Coalition”.
In der Tat sind Pop-ups, als Teil der Nutzererfahrungen, einer von mehreren Ranking Faktoren von Google.
Laut “John Mueller” (Webmaster Trends Analyst) von Google können Pop-Ups auf zwei Arten das Ranking negativ beeinflussen:
Wenn das Pop-up als “aufdringliche Unterbrechung” in Erscheinung tritt.
Wenn das Pop-Up sich negativ auf die Nutzererfahrung, die Ladezeit, die Reaktionsgeschwindigkeit oder die Stabilität von Darstellungen auswirkt.
Wenn das Pop-up während des Ladevorgangs einer Webseite Verschiebungen verursacht.
Ein anderes Beispiel von Cumulative Layout Shifts wäre, wenn ein grosses Bild lädt und einen Textblock dadurch nach unten verdrängt.
John Mueller (Webmaster Trends Analyst) erklärt, wie sich Pop-ups aufs Ranking auswirken können
2018 richtete Optinmonster das Wort in einem Blogpost an seine verunsicherte Community, um diese zu beruhigen:
Mitnichten sei das das Ende von Pop-ups und es folgten eine ganze Reihe von Pop-ups, die noch erlaubt sind: Solche, die nicht von gleichzeitig mit dem Laden einer Seite aktiv werden, sondern “verhaltensbasiert” ausgelöst würden.
Die da wären:
Mir erschliesst sich nicht, inwiefern dies weniger aufdringlich ist. Um auf unsere Analogie vom Anfang zurückzukommen: Der Coop-Mitarbeiter kommt in diesem Fall halt erst, wenn man wieder gehen will und versperrt einem den Weg zum Ausgang.
Man könnte sogar argumentieren, dass solche verhaltensbasierten Popup-Auslöser hinterlistiger sind.
Wie auch immer, Google ist schlau genug, um zu erkennen, wenn die User eine Seite aufgrund des Pop-up-Verhaltens meiden, was wiederum zu Konsequenzen in der Suchresultate-Platzierung führt.
Wie ich Statistiken recherchieren möchte, um diese Frage zu beantworten, denke ich an meinen letzten Online-Kauf zurück. Ein Cloud-Storage-Angebot, welches mir auf einem Pop-up angepriesen wurde mit einem Rabatt von 60%. Ich muss mir eingestehen: Auch ich klicke auf Pop-ups, wenn die Angebote darauf verlockend genug sind.
Der an erster Stelle platzierte Artikel, den Google mir serviert, ist von einem Konkurrenzprodukt von Optinmonster. Ein Blogpost von Popupsmart.
Die Behauptung seitens Popupsmart ist bestechend: Die durchschnittliche Conversion Rate, vereinfacht ausgedrückt die Zahl jener User, die der Aufforderung des Pop-ups gefolgt sind, soll im 2020 3.09% betragen haben.
Bei einem Pop-Up, welches ein Produkt anpries bedeutet das, 3 von 100 Leuten haben dieses erworben.
Gemessen daran, wie wenig Aufwand die Erstellung eines Pop-Ups ist und dass es “von selbst läuft”, erstaunt es nicht, dass diese Zahl netto durchaus für den Einsatz von Pop-Ups spricht.
Es scheint tatsächlich davon abzuhängen, wie aufdringlich und womit man jemanden belästigt und wahrscheinlich würden viele von uns vom Coop-Mitarbeiter gestört werden wollen, wenn er uns dabei Geld spart.
Mit einem abschliessenden Blick auf Google Trends lässt sich auch zusammenfassen, dass die allgemeine Empörung über Pop-ups sich in Grenzen zu halten scheint. Die Suchanfragen zu "Popup Blocker" sind stark zurückgegangen.
Die Regulierung durch Google und die “Better Ads Coalition” scheint zu wirken.
Persönlich bin ich sehr gespannt darauf, welche neuen Popup-Auslöser auf der Basis des Nutzerverhaltens noch entwickelt werden, wie sie die moralischen und datenschutztechnischen Grenzen auf die Probe stellen und die digitale Evolution vorantreiben werden.